Ein Interview mit Markus Appenzeller im Berliner Tagesspiegel geführt durch Christian Hönike.
Herr Appenzeller, Sie sind mit Ihrem Planungsbüro in Städten weltweit aktiv. Sind wir Berliner besonders von der Wohnungsnot betroffen?
Nein, das ist ein globales Problem. Überall, wo ich hinkomme, ob in China, in Afrika oder in Europa, gibt es kaum noch bezahlbaren Wohnraum in Städten. Durch den großen Drang in die Innenstädte werden vor allem die unteren Einkommensschichten verdrängt. Diese Dynamik wird durch einen zweiten Trend zusätzlich angeheizt.
Und der wäre?
Stadtentwicklung ist mittlerweile ein globalisiertes Geschäftsfeld, in das immer mehr Geld fließt. Man trifft immer wieder auf die gleichen Player, die an verschiedensten Stellen der Welt investieren. Ich war diese Woche in Nairobi, da ist ein Projektentwickler aus London mit Investoren aktiv, die wir aus Russland und den USA kennen.
War das nicht schon immer so?
Nein. Früher waren Projektentwickler beschränkt auf ein Land oder eine Region. Heute suchen sie sich gemeinsam mit Investoren zunehmend weltweit interessante Objekte, mit denen man gute Rendite erzielen kann. Seit fünf, sechs Jahren ist auch Deutschland im Fokus.
Wenn so viel gebaut wird, müsste dadurch der Wohnraum nicht billiger werden?
Ein Großteil der Preissteigerungen hat nichts mit der realen Nachfrage nach Wohnraum zu tun. Die gibt es, doch der explodierende virtuelle Immobilienmarkt kommt nun als Preistreiber hinzu. Er hat nicht mehr den Stadtbewohner als Mieter und Endverbraucher im Fokus. Sondern Investoren, die ihr Geld anlegen wollen. Die Folgen sind absurd: Man baut komplett am realen Bedarf vorbei und schafft Wohnraum, der im Zweifel gar nicht als Wohnraum gedacht ist, sondern nur als Geldanlageobjekt. Zum Beispiel werden bevorzugt kleine Wohnungen gebaut, um den Einstiegspreis gering zu halten. Je kleiner die Wohnung, desto interessanter ist sie als reines Investment.
Bedroht dieses globale Geschäft die lokalen Stadtgesellschaften?
Ja. Internationalen Investoren ist es im Gegensatz zum klassischen Hauseigentümer relativ gleichgültig, welche lokalen Folgen ihr Handeln hat. Sie haben nur zwei Entscheidungskriterien: die Rendite und die Sicherheit für ihr Kapital, die ihnen der Ort bieten kann. Die Stadt wird vom Wohn- und Lebensraum zu einem Finanzmodell für umherschwirrendes Geld, das Anlagemöglichkeiten sucht. Ich bin grundsätzlich Optimist, aber ich mache mir da schon Sorgen.
Welche Folgen befürchten Sie?
Der Neid und der Kampf ums Überleben in der Stadt wird größer werden. Auch die Nationalismustendenzen und latente Ausländerfeindlichkeit in manchen Vierteln sind ein Zeichen für diesen wachsenden sozialen Unfrieden. Die Politik hat inzwischen erkannt, dass das ein Problem ist, der Wohnungsgipfel zeigt das. Aber wenn man nicht schnell deutliche Schritte unternimmt, besteht aus meiner Sicht ein reales Risiko, dass sich das zu einem explosiven Gemisch aus ökonomischem Druck, Zukunftsangst und Xenophobie entwickelt.
Wenn so viele Städte von diesen Gefahren bedroht sind, warum gibt es zwar internationale Immobilienmessen, aber keinen internationalen Städtegipfel?
Es fehlt tatsächlich ein Format, in dem man Lösungen für das weltweite Problem entwickelt. Leider sehe ich nicht, dass eine globale Städteallianz entsteht. Jede Stadt wurschtelt für sich, auch weil sie natürlich untereinander im Wettbewerb stehen und um Investitionen buhlen.
Bekommen Sie selbst unmoralische Bauangebote?
Jede Menge. Ein Projektentwickler wollte auf Madeira für britische Anleger bauen. Die brauchen dann keine Steuern auf Gewinne mit den Wohnungen zu zahlen. Das lehnen wir ab, obwohl es finanziell interessant wäre. Wir wollen Architektur und Strukturen für echte Menschen in echten Städten schaffen. Unser Büro ist deshalb eher im kostengünstigen Massenwohnungsbau aktiv. In manchen Städten ist das mittlerweile eher ein Nischenmarkt geworden.
Wo zum Beispiel?
In London etwa wird schon lange nicht mehr für Londoner gebaut, sondern fast nur noch für ausländische Anleger. Chinesische Firmen lassen für vermögende Chinesen bauen, die ihr Geld entweder direkt in Wohnungen oder in Anteile an einem Immobilienfonds investieren. Der Verkauf läuft meist in China ab, die Wohnung ist also auf dem lokalen Markt gar nicht verfügbar. Inzwischen sieht man dieses Vertriebsmodell in immer mehr Städten, auch in Berlin.
Aber diese Objekte werden doch trotzdem nachher als Wohnraum vermietet.
Nicht unbedingt. Je nach Modell wird eine Wohnung durch die Vermietung für Anleger sogar weniger wert. Einerseits, weil sie dann schwieriger zu verkaufen ist. Außerdem besteht das Risiko, dass sie durch die real erwirtschaftete Miete abgewertet wird. Man schätzt, dass in China ein Drittel der Wohnungen leer steht. In Schanghai oder Peking gibt es bei Wohnungen Wertsteigerungen von mehr als 50 Prozent im Jahr – da gibt es keinerlei ökonomische Notwendigkeit, sie zu vermieten.
Was tut man dann damit?
Man lässt sie drei Jahre leer stehen und verkauft sie wieder. Diese Auswüchse des Renditekapitalismus sieht man weltweit. Es besteht das Risiko, dass sich die Innenstädte dadurch komplett entleeren und nur noch Arbeitsplätze, Tourismus und Dienstleistungen übrig bleiben.
Die SPD-Bundestagsabgeordnete Cansel Kiziltepe fordert deshalb, spekulative Renditejäger im Zweifel zu enteignen.
Man braucht in jedem Fall Regeln, die solche Praktiken unattraktiv machen. Im Grundgesetz ist die Sozialbindung des Eigentums formuliert. Wenn ich Wohnraum leer stehen lasse, ist das nicht sozial. Das muss unter Androhung hoher Strafen verhindert werden, im schlimmsten Fall bis zur Enteignung. Hier sind auch die Regierungen gefragt, da einzelne Städte in ihren gesetzgeberischen Möglichkeiten überfordert sind.
Wie im Fall der umstrittenen Modernisierungsumlage.
Die muss abgeschafft werden. Sie ist schon in ihrer Grundidee absurd. Dabei werden notwendige Werterhaltungsmaßnahmen als Modernisierung umgedeutet und auf die Mieter umgelegt. Eigentlich müsste es genau umgekehrt sein: Mieten müssten automatisch sinken, wenn diese Maßnahmen ausbleiben.
Sollte man auch per Gesetz verhindern, dass Krankenkassen oder Rentenfonds in den virtuellen Markt investieren und bei der Preistreiberei mitmachen?
Zumindest Institutionen, die Geld aus staatlichen Töpfen bekommen, sollten solche Anlagestrategien nicht gestattet werden. Es ist eine schizophrene Situation, wenn die öffentliche Hand als Player und Antreiber solcher Praktiken und gleichzeitig als Regulierer auftritt.
Solche Gesetzesänderungen dauern lange. Was kann die Lokalpolitik ad hoc tun, um die Stadt nicht zum Spielball von Investoreninteressen werden zu lassen?
Selber aktiv werden. Zum Beispiel durch eigenen sozialen Wohnungsbau. Viele Städte verkaufen Grund und Boden noch immer zum Höchstgebot – das ist ein weiterer Schlüsselfaktor für die Preissteigerung. Die Lokalpolitik muss sich auch inhaltlich besser wappnen gegen Investoren, die von der Stadt profitieren wollen.
Wie denn?
In den letzten Jahren ist die Weltwirtschaft deutlich komplexer geworden. Gerade in der Lokalpolitik ist die Gefahr groß, dass Entscheidungen aus gutem Glauben und teilweise auch Naivität gefällt werden. Man sollte sich deshalb Experten aus der Branche in die Stadtplanungsämter holen, damit man hier auf Augenhöhe kämpfen kann.
Gilt das auch für Berlin?
Ganz besonders. Berlin steht vor einer riesigen Herausforderung. Die internationalen Kapitalströme fließen extrem schnell und treffen auf Stadtentwicklungsprozesse, die sehr langsam ablaufen. In Berlin ist dadurch eine Dynamik entstanden, die viel größer als in etablierten Immobilienkapitalmärkten wie Hamburg oder Frankfurt ist. Berliner bekommen die Effekte durch den Mietwohnungsanteil von 85 Prozent viel stärker in kurzer Zeit zu spüren als Bewohner anderer Städte mit höherem Eigentumsanteil. Berlin muss schnell gezielte Gegenstrategien entwickeln.
Welche könnten das sein?
Die Stadt könnte dafür sorgen, dass bestimmte Projekte nicht mehr genehmigungsfähig sind. Das erfordert ein Umdenken bei Baugenehmigungen.
Ausgerechnet Sie als Architekt verteidigen trotz des Baudrucks den investitionskritischen Ansatz der Berliner Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher?
Man darf nicht einfach alles durchwinken. Baugenehmigungen sind bisher vor allem eine technische Angelegenheit. Aber man sollte auch ökonomische und soziale Aspekte betrachten. Ich plädiere dafür, die Baugenehmigung auch vom Finanzierungsmodell und dem angesprochenen Marktsegment abhängig zu machen.
Was soll das bringen?
So hätte man mehr Einfluss darauf, was tatsächlich realisiert wird. Hier kommt die Sozialbindung des Eigentums zum Tragen: Wohnungsbau muss einen positiven Beitrag für das Zusammenleben in der Stadt leisten. Was der Stadtbevölkerung hilft, sollte genehmigt werden – alles andere nicht.
Finanzexperten kündigen das Ende des Booms an. Sinken die Immobilienpreise, wenn die Kreditzinsen wieder steigen?
Nicht automatisch. Der Teilmarkt mit billigem geliehenen Geld könnte in den nächsten zehn Jahren zwar kleiner werden. Dann dürfte es eine Preiskorrektur geben, die die Mietsteigerungseffekte etwas abmildert. Andererseits bleibt der reale Drang in die Städte erhalten. Und es wird weiter Anleger geben, die sichere Investitionsmöglichkeiten suchen. Für die spielt das Zinsniveau eine untergeordnete Rolle. Wenn man das ändern will, dann braucht es politischen Willen.
Müssen wir uns in Berlin künftig also trotzdem mit weniger Platz begnügen?
Ich denke schon. Es ist global gesehen nicht die Norm, dass eine vierköpfige Familie auf 120 Quadratmetern lebt. Mit steigenden Preisen bei stagnierenden Einkommen verkleinert sich der Wohnraum.
Das Interview erschien in Tagesspiegel am 16.10.2018